Sven Spaltner – Niemand

Mach dein Richtungsding!

Niemand

Niemand steht hinter mir, dachte sie, als sie die Schritte hörte, sie lag falsch, er war hinter ihr, er folgte ihr in die dunkle Gasse, die Gasse im heruntergekommenem Viertel; ein Viertel des Kuchens isst ihre Tochter, deren Vater sie nicht kennt; sie kennt aber das Rezept des Kuchens von ihrer Mutter, die sie liebte; Liebe war selten in diesen Zeiten, Zeiten von Angst und Schrecken; schreckhaft war sie nie, sie war mutig; so mutig wie die Ritter in den Geschichten, die die Prinzessin aus dem Turm befreien, sie liest ihrer Tochter diese Geschichten vor; vor ihrem Haus parkte ein Polizeiwagen, er hatte blaue Streifen; so blau wie sie an diesem Abend war; der Abend naht, Zeit ins Bett zu gehen und Geschichten von mutigen Rittern zu lesen und zu träumen; sie hatte immer von einer Familie geträumt, jetzt träumt sie von Heroin, die Narben an ihrem Arm zeigen es; sie ist arm, doch sie will ihrem Kind ein schönes Leben bieten; der Arzt bot ihr die Möglichkeit abzutreiben; nachts treiben es die Jugendlichen wild auf Partys, sie ging auf solche Partys; sie ging auch immer wieder zum Psychologen, er studierte in Oxford, das ist irgendwo in England, wo sie Tee trinken; sie trank immer einen sex on the beach; Strandurlaub kann sie sich nicht leisten, denn sie studierte nicht in Oxford, auch wenn sie davon geträumt hatte, als sie noch selber Tochter gewesen war, damals war sie höflich und nett gewesen, so wie es im Knigge steht; sie stand in einer Gasse und rauchte eine Zigarette, damals rauchte sie eigentlich noch nicht, aber sie hatte so Lust auf Tabak, hätte sie sie nicht gehabt, hätte er sie nicht gefunden, nur wegen dieser Lust auf Tabak aus Südamerika von billigen Arbeitskräften angebaut; der Psychologe baute ihre Ängste ab, dachte er zumindest, doch sie entschied, das Heroin mehr abbaut, nicht nur Ängste, sondern auch Probleme; Probleme hatte sie vorher nie gehabt, jetzt schon, aber ihre Tochter darf es nicht wissen; darf nicht wissen, wer ihr Vater ist, sie weiß es selber nicht, sie liebte ihn nicht; jetzt liebt sie das Heroin, sie will nach Hilfe rufen, wenn sie an diese Gasse denkt, wenn sie an den Abend denkt, wenn sie daran denkt, was sie vorher für ein Leben gehabt hatte, sie will Hilfe rufen, doch es ist zu spät, denn es hört sie niemand.

Sven Spaltner, die Rechte an diesem Text liegen bei dessen Autor.