Yohanna Holtkamp – Fliegengitter

Mach dein Richtungsding!

Fliegengitter

Du bist kalte Hände über müden Augen, lichtverdrängende Geste und blaue Rotweinlippen, wie Samt.
Ich bin ungewaschene Haare und fleckige Hemden und Ascheatem von tausend Zigaretten.
Scheinwirklichkeit im Dachbodenzimmer, zwei Menschen zwischen Apathie und Eskapismus.
Die einzige Glühbirne ist schon lange durchgebrannt, du bist zu selten da, um sie zu wechseln, der Staub auf der Fensterbank schwebt unberührt.
Und in der Mitte von uns dann diese Stille, wie Zigarrenrauch schwer in der Luft, aber alles ist besser als reden. Würdest du reden, würdest du dich versprechen und vielleicht, fast etwas Falsches sagen.
Schon wieder geht der Mond auf, bevor wir uns bemerken und du bist wie immer zu müde, um zu reden.
Niemand bricht das Schweigen, niemand schaut in den Nachthimmel.
Dabei ist er so schön heute; unendlich erstreckt sich das Sternenmeer mit all seinen Galaxien zwischen dem Karmin der Nachbarn und dem Apfelbaum im Garten, jedes Licht wie eine Himmelslaterne zwischen Dämmerwolken.
Vor unserem Fenster ist ein ganzes Universum, Ziegeldächer und Vorstadtgärten und hier drin nur stickige Luft und unausgesprochene Worte.
Zwei Welten, getrennt durch ein dünnes Fliegengitter, das den Enzianhorizont in kaum sichtbare Quadrate teilt, Gitterstäbe für taubstumme Gedanken.
Du bist Filterkaffee, kaltes Wasser im Frühmorgengesicht und weinrote Bürostühle.
Ich bin Morgengrauennikotin, eine Tablette, bevor die Sonne in unser Zimmer scheint, und Schatten unter den Augen, wie Gewitterwolken.
Auf dem Boden liegt das Hemd, das du gestern getragen hast. Die Knöpfe verteilt, schlafen auf dem Sofa, der Kommode und dem Aschenbecher, schlecht vernäht mit billigem Garn, waren sie abgesprungen bei zu tiefen Atemzügen und unachtsam auf dem Mobiliar liegengelassen.
Es ist November, drei Monate lang haben wir nur geschlafen, den Sommer erfolgreich verdrängt, Erinnerungen wie Fotos von den Wänden gehangen und in Kisten gepackt, um sie verstauben zu lassen.
Du trägst wieder deinen grauen Anorak und meine Haut wird wieder rissig und weiß.
Auf dem Fliegengitter liegt morgens Frost und der Quadrathimmel fließt in den milchigen Nebel über, selten durchzogen von den allerletzten Vogelschwärmen.
Es wird abends schneller dunkel und die Dämmerung legt sich auf deine Augenlider und ermüdet dich, ich mache dich müde.
Und wir können uns nicht sagen, wie viel wir uns bedeuten, denn wir kennen keine Worte und du bist das Schweigen gewohnt und ich bin das Schweigen leid, wir drehen uns im Kreis und hören seit 30 Tagen die gleiche Platte.
Vielleicht war das Feuerwerk zwischen uns zu hell, zu laut und hat mich insgeheim beängstigt.
Du wirst krank, ich werde kränker, das Fliegengitter bleibt.
Du bist raue Hände, die vor der Kälte in Stofftaschen fliehen und gutgemeinte Gesten trotz der Nüchternheit in deinem Blick, ich bin immer gleiche Endlosschleife und das verdammte Fliegengitter.

Yohanna Holtkamp, die Rechte für diesen Text liegen bei der Autorin.